WERDORF
Der größte Stadtteil der Stadt Aßlar ist Werdorf. Dieser idyllische Stadtteil liegt 4 km in nordwestlicher Richtung Dill aufwärts an den Ausläufern des Rothaargebirges. Urkundlich wurde er bereits 772 zur Regierungszeit Karls des Großen (768-814 ) im berühmten „Lorscher Codex“ erstmals erwähnt. Die 1200-Jahrfeier wurde 1972 gebührend gefeiert.
Die erste Besiedlung in unserer Heimat dürfte bereits in der Steinzeit stattgefunden haben, etwa um 5000 v. Chr., wie Knochenfunde des wollhaarigen Nashorns sowie von Bison, Wildpferd und Riesenhirsch mit Brandspuren in der Nähe von Dalheim und Braunfels belegen. Bei den Ausschachtungsarbeiten zum Schulneubau der Grundschule Werdorf 1948 fand man in 2 Metern Tiefe eine rechteckige Steinsetzung mit etwas östlich davon gelegener Brandstelle. Auch eine große Urne mit kalzinierten Knochenresten kam zum Vorschein, die auf eine frühe Besiedelung hinweisen. Aus der Latenezeit 450 – 50 v.Chr. wurden Grabhügel und Urnenfelder bei Bermoll freigelegt. Um die Zeitenwende waren Kelten die dominierenden Bewohner unserer Heimat. Sie hinterließen Spuren, wie z.B. auf dem Dünsberg bei Gießen. Germanische Stämme wie die Chatten drängten in die Täler an Lahn und Dill. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus hat das Volk der Chatten etwa 98 n. Chr. beschrieben. Später versuchten die Römer, wie die Ausgrabungen in Lahnau belegen, in unserer Heimat Fuß zu fassen, was ihnen aber nicht gelang. Sie gaben eine vielversprechende Ansiedlung 9 n. Chr. auf, wahrscheinlich nach der verlorenen Varus-Schlacht im Teutoburger Wald gegen Hermann den Cherusker. Der Limes wurde gebaut und trennte Germanen und Römer.
Unter Kaiser Theodosius wird das Christentum 391 n. Chr. offizielle römische Staatsreligion. Im 5. Jahrhundert zerfällt das Römische Reich und geht unter. Das Bistum Trier, das noch in der Römerzeit begründet ist, ist für die Missionierung unsere Heimat anzusehen. Es wird angenommen, dass bereits im 4. Jahrhundert der Priester Lubentius von Trier aus ins Lahntal gekommen ist, dort gepredigt und in Dietkirchen an der Lahn eine Kirche gebaut hat. Von hier aus hat er missioniert. Es ist davon auszugehen, dass unsere Vorfahren relativ früh mit dem Christentum in Berührung gekommen sind.
Unter den Kelten war unsere Region schon in Gaue aufgeteilt. Das Gebiet an der Dill gehörte zum Oberlahngau. Jeder Gau war wiederum aufgeteilt in Marken. So gab es u.a. die Bardorfer Mark, die Werdorfer Mark mit der Lemp, Breitenbach und Berghausen und die Larer Mark mit Aßlar, Hermannstein usw. In der karolingischen Zeit wurden die Marken allmählich in Cente umgewandelt. Germanien wurde etwa ab 719 von dem angelsächsischen Mönch Bonifatius missioniert, und nach 721 begann er seine Mission in Hessen. Im Auftrag von Bonifatius wird 744 das Benediktiner Kloster Fulda gegründet. Im Jahre 774 wird in Gegenwart Kaiser Karls das für uns so wichtige Kloster Lorsch an der Bergstraße eingeweiht. So schenkt ein Berthard aus Werdorf im Jahr 772 (zur Regierungszeit Karls des Großen ) für sein Seelenheil dem Kloster Lorsch 20 Morgen Ackerland, eine Wiese und ein Gehöft und alles, was dazugehört. In den folgenden fast 100 Jahren setzen sich solche Schenkungen fort. Im übrigen beziehen sich viele Städte und Gemeinden auf die Schenkungen an das Kloster Lorsch und belegen damit ihre erste urkundliche Erwähnung. Um 875 bzw. um das Jahr 1000 war bereits eine Kirche in Werdorf vorhanden. Im Mittelalter wird eine Vogtei erwähnt, und da gab es auch noch die Adligen von Werdorf.
Aus freien Bauern hervorgegangen, saßen sie auf freien Adelshöfen, von denen es im Jahre 1428 noch drei in Werdorf gab. Graf Philipp (1547-1581 ) führte die Reformation ein und hob die Leibeigenschaft auf. Werdorf und Berghausen bilden seit 1585 ein eigenes Kirchspiel. Vorher waren sie der Mutterkirche in Dillheim zugeordnet.
Der 30jährige Krieg (1618-1648) brachte viel Leid, Elend, Hungersnöte und Seuchen über das Dilltal. Noch während der Kriegswirren gab der Landesherr von Greifenstein, Graf Wilhelm II. 1643, seinen Untertanen einen Freiheitsbrief und befreite sie von Frondiensten. Er verstarb 1677 in Wetzlar.
Seine Witwe Gräfin Ernestine Sophie ist die Erbauerin des Werdorfer Schlosses, das zwischen 1686 – 1689 errichtet wurde. Nach der Fertigstellung siedelte die Gräfin mit ihren beiden unverheirateten Töchter Eleonora Sabine und Anna Johanna von Greifenstein nach Werdorf über. Aus dem Jahre 1695 liegt ein Einwohnerverzeichnis vor, in dem 279 Personen genannt werden. Die letzte Prinzessin im Schloss stirbt 1742 und wird auf Burg Greifenstein beigesetzt. Im Jahre 1705 wird vor der Kirche ein Schulhaus gebaut. Dies wird 1880 abgebrochen, nachdem ein Neubau in der Hinterstraße errichtet worden war. Mit der Einrichtung der Schule war eine zweite Pfarrstelle verbunden, deren Leiter auch gleichzeitig als Lehrer fungierte. Die Grundsteinlegung für das heute noch existierende Kirchenschiffe erfolgt 1755. Im Jahre 1766 wandern fünf Familien aus Werdorf nach Rußland aus. Die Zarin Katharina II. hatte sie ins Land geholt. Nach Hungerjahren wird um 1772 die Kartoffel allgemein eingeführt.
Nach der Französischen Revolution 1789 gab es wieder Krieg. Österreicher und Franzosen kämpften im Dilltal. Wieder gab es Leid und Not unter der Bevölkerung. Vier Werdorfer nehmen als Soldaten an der Schlacht von Waterloo teil, bei der Preußen und Engländer über Napoleon siegen. Nach 1815 wird Werdorf preußisch. Das Dorf hat jetzt 673 Einwohner. In der Frankfurter Paulskirche tagt das erste Deutsche Parlament. Die sogenannte 48er Revolution bricht aus. Der Ruf nach Freiheit, Gerechtigkeit, sowie Presse- und Versammlungsfreiheit erschallt. Der Fürst zu Solms-Braunfels gibt Kompetenzen an seinen Ämtern Braunfels und Greifenstein an das Landratsamt in Wetzlar ab. In den Jahren 1852 – 1872 wandern etwa 50 Werdorfer nach Nordamerika aus. Der Grund sind die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in unserer Heimat. Eine leichte Verbesserung der Lebensverhältnisse erlebte unsere Heimat durch den Bau der Eisenbahn, die 1862 den Fahrbetrieb aufnahm. Der Transport von Eisenstein zu den Hüttenwerken im Ruhrgebiet wurde wirtschaftlicher und einige Gruben konnten erweitert werden. Viele Werdorfer fanden Arbeit bei der Eisenbahn und in den Erzgruben. Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wird die Mark als Zahlungsmittel eingeführt, sie löst den Gulden und den Taler ab. Die Mark existiert somit bis zum 31. De-zember 2000. Am 1.Januar 2002 wird sie durch den Euro abgelöst. Im Jahr 1892 legt die Gemeinde drei Laufbrunnen an, die erst 1910 durch eine zentrale Wasserversorgung ersetzt werden. Eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung tritt nach und nach ein, besonders nach dem I. Weltkrieg. Die Einführung des elektrischen Lichts sei hier genannt. Durch die allgemeine Industrialisierung, beginnend im 19. Jahrhundert, hat sich Werdorf vom reinen Bauerndorf zu einer Wohngemeinde entwickelt.
Durch die Aufnahme von über 500 Heimatvertriebenen und Flüchtlingen von 1946 – 1950 stieg die Einwohnerzahl auf 2139. So entstand die Siedlung „Vor der Stegel“ in den 50er Jahren. Weitere Baugebiete wurden in den 60er- und 70er-Jahren ausgewiesen. Die katholische Kirchengemeinde weihte 1966 ihre Kirche „St.Norbert“ ein. Eine Reihe von Infrastrukturmaßnahmen wurde durchgeführt, wie die Verrohrung des Schönbachs, Verbreiterung und Ausbau von Straßen. Der Friedhof wurde erweitert und die Friedhofshalle gebaut. Ein Dorfgemeinschaftshaus mit Kindergarten entstand 1958, und die Kanalisation wurde vorangetrieben. Werdorf war eine der ersten Gemeinden, die eine mechanische Kläranlage betrieb. Nach der Gebietsreform kam Werdorf 1977 zu Aßlar. Heute ist Werdorf ein Stadtteil mit über 3400 Einwohnern. Der Ortsmittelpunkt ist der neu gestaltete Dorfplatz mit Kirche und Schloss, welches das Heimatmuseum der Stadt Aßlar beherbergt. In diesem Schloss ist auch ein Trauzimmer der Stadt eingerichtet, in dem in einer besonderen Atmosphäre geheiratet werden kann. An der östlichen Peripherie besteht ein Gewerbegebiet, das zurzeit erweitert wird. Ein weiteres Gewerbe- und Wohngebiet ist südöstlich der B 277 in Planung.